Ausklingeln – Wie mit Raumresonanzen bei Livekonzerten umgegangen wird

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Glocke
“Ausklingeln” ist eine eigene Wortschöpfung unseres Autors | Bild: Peggy und Marco Lachmann-Anke

Ich bin auch Tonmischer einer Lokal-Band. Wir haben Auftritte mit so 200-300 Leuten im Publikum.

Es gibt beim Aufbau vor dem eigentlichen Soundcheck eine Prozedur, die wir „den Raum ausklingeln“ nennen. Fehlt diese Prozedur, weil der Aufbau zu lange gedauert hat, oder ein technisches Problem vorliegt, wird es hart für den Tonmenschen, das Publikum und für die Jungs auf der Bühne.

Was passiert beim „Ausklingeln“? Die Prozedur besteht aus zwei Teilen: Im ersten Schritt nehme ich einen Tongenerator im Mischpult, fahre einen Sinuston von anständiger Lautstärke in den Raum und erhöhe die Frequenz langsam. Dabei tauchen recht schnell Frequenzen auf, bei denen der Raum resoniert.

Praktisch macht sich das in einem plötzlichem Anschwellen der Lautstärke bemerkbar. Also bei 40 Hz ist noch alles in Ordnung, aber 42 Hz brummt ungleich lauter, obwohl die Lautsprecher genauso viel Energie in den Raum geben wie bei 40Hz, bei 44 Hz ist es dann wieder der Level von 40 Hz vorher.

Was passiert? Bei 42 Hz hat der Raum eine Eigenschwingung. Das bedeutet, dass sehr wenig Energie ausreicht, um bei dieser Tonhöhe eine stehende Welle im Raum zu erzeugen. Also, wenig Energie rein, viel Energie im Raum. Aber nur bei diesem Ton.

Das hat nichts mit der bösen Rock Musik zu tun oder mangelhafter Technik. Jeder Raum hat das.

Nun bleibt es nicht bei einer Frequenz, die da so ausbricht, es ist ein ganzes Bündel. Und zu allem Überfluss bilden sich auch bei den Vielfachen der betreffenden Frequenzen, also jeweils eine Oktave höher, solche „Moden“. Schwingt ein Raum besonders fies bei 42 Hz, dann macht er dies auch bei 84 Hz und 168 Hz, allerdings mit abnehmender Ausprägung.

Jeder Raum hat ein individuelles Paket Frequenzen, bei denen er besonders leicht anfängt zu schwingen!

Das stört! Unsere Gegenmaßnahme besteht darin, im Summenkanal am Mischpult mithilfe eines Equalizers die wichtigsten Frequenzen abzusenken, die den Raum besonders leicht zum Schwingen bringen.

Wenn ich mit dem ersten Teil der Prozedur fertig bin, hat sich also ein ganzes Paket an Frequenzen ergeben, bei denen der Raum „überempfindlich“ reagiert. Diese Frequenzen habe ich am Mischpult abgesenkt, um den Raum hier nicht unnötig anzuregen. „Stehenden Wellen“ sind sehr laut, begrenzen die mögliche Gesamtlautstärke und machen die „Nutzung“ bestimmter Frequenzbereiche zur Musikübertragung zunichte.

Ein Instrument, welches bei 42 Hz, 67 Hz, 75Hz, und deren Vielfachen besonders laut „dröhnt“, klingt im besten Fall subtil nach Energie, aber den Klang des Instrumentes krieg ich so nicht zum Publikum.

Es hat übrigens jeder Raum so ein spezifisches Spektrum an Frequenzen, bei denen er besonders leicht zum Schwingen angeregt wird. Das ist völlig normal und ergibt sich aufgrund der Abmessungen und Oberflächeneigenschaften. Unser Unterbewusstsein nimmt diese Information durchaus wahr und leitet daraus Vorstellungen über Größe und Beschaffenheit eines Raumes ab.

Mischpult
Eingangskanäle eines Mischpultes | Bild: Stux

Im zweiten Schritt unserer Ausklingel-Prozedur nehmen wir uns die Resonanzen des technischen Equipments vor. Hierbei werden die wichtigsten Mischpulteingänge einzeln durchgearbeitet: Das Mikrofon vom Lead-Sänger wird ohne Gesang am Mischpult vorsichtig immer weiter aufgedreht, bis es zu pfeifen beginnt, sich also eine Rückkopplung aus dem Hintergrundgeräusch des Raumes gebildet hat. Würde man jetzt nichts tun, wird das Pfeifen immer lauter, ein typisches Feedback.

Dabei nimmt das Mikrofon den Schall im Raum auf, dieser wird verstärkt und wieder in den Raum abgestrahlt, wo er wieder vom Mikrofon aufgenommen und erneut verstärkt wiedergegeben wird usw. Wenn nicht eingeschritten wird, läuft der Ton bis zur maximalen Lautstärke hoch. Sie kennen das typische Pfeifen von Konzerten.

Wenn ich das Mikro nun also vorsichtig an das Feedback heranfahre, kann ich auf meinem Mischpult im Spektrumanalyser sehen, bei welcher Frequenz sich das Feedback bildet und kann diese dann in der Klangregelung dieses Kanals ganz gezielt absenken.

Ist dies getan, läßt sich der Kanal deutlich lauter fahren, bevor es wieder zu pfeifen beginnt, diesmal bei einer anderen Frequenz. Auch hier wird wieder so verfahren und abgesenkt. Zum Ende dieser Maßnahme läßt sich der Gesangskanal ohne Feedbackneigung so laut hochfahren, wie er während des Konzertes gar nicht genutzt wird. Dies wirkt sich positiv auf Dynamik, Klangfarben und Impulsverhalten aus und gibt Sicherheitsreserven für die Tontechnik…

Dieser zweite Teil der Prozedur wird mit den wichtigsten Kanälen wiederholt, wobei es nicht zwingend Gesangskanäle sein müssen. Auch Schlagzeugfelle, Gitarrentonabnehmer, Monitorlautsprecher bieten sich an, um die Feedbackneigungen zu verringern.

Jedes technische System hat ein individuelles Paket Frequenzen, bei denen es besonders leicht anfängt zu schwingen!

Was passiert nun, wenn diese Prozedur aus Zeitgründen nicht stattgefunden hat? Der Konzertbeginn und Einlass stehen fest – keine Zeit mehr zum Ausklingeln.

Die Situation sieht nun so aus: Wir haben erfahren, dass jeder Raum ein ganz charakteristisches Spektrum an Frequenzen hat, bei denen ein geringer Energie-Input zu hoher Energie im Raum führt, es bildet sich also grundsätzlich ein bunter Blumenstrauß an Frequenzen im Raum, wo durch stehende Wellen und Resonanzen die Musikwiedergabe beeinträchtigt wird: einzelne Töne werden mit überhöhter Lautstärke und zeitverzögertem Ausschwingverhalten wiedergegeben.

Nun haben wir ja nicht nur den Resonanz-Fingerabdruck des Raumes nicht kompensiert, zusätzlich haben wir auch die ganze Wiedergabe-Technik bei ihren Überempfindlichkeiten und Resonanzen nicht anpassen können.

Natürlich bleibt es nicht bei zwei getrennten Systemen, eine der grundlegenden Eigenschaften von Resonanzen ist deren Kontaktfreudigkeit. Resoniere ich mit 437 Hz, und du hast da ne Affinität, dann schüttelt es dich. So ungefähr.

Es bilden sich Bereiche, wo beide Systeme miteinander in Resonanz gehen und sich besonders hervortun. Wir haben also zwei unterschiedliche Systeme, die sich über Resonanzen miteinander verkoppeln; es entsteht also ein Schwingkreis, der sich aus Raum- und Anlagenresonanzen zusammensetzt.

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Einige Frequenzen der individuellen Pakete resonieren miteinander und verkoppeln Raum- und Anlagensystem!

An diesen neuralgischen, systemübergreifenden Punkten kommt es neben „normalen“ Beeinträchtigungen besonders schnell und hartnäckig zu überhöhter Schallenergie im Raum, da Raum- und Anlagenresonanzen sich gegenseitig anheizen und verstärken. Tatsächlich wird hier auch elektrische Energie der Anlage gebunden und steht der Technik nicht mehr für die Musikübertragung zur Verfügung.

Umgekehrt kommt es auch zu zeit-verzögertem Abklingen der Impulse: Signale werden „verschmiert“, die gesamte Wiedergabe ist nicht impulsiv, wirkt zäh und träge …

Ähnliche Phänomene finden wir übrigens nicht nur im Bereich der Luftschwingungen, diese Eigenschaften finden sich bei vielen schwingenden Systemen, also auch in elektrischen, magnetischen, elektronischen, elektromagnetischen, biologischen; vieles interagiert auch munter über Bereichsgrenzen hinweg.

Für ein tieferes Bild zu Resonanzen und Vibrationen, die überall um uns herum vorhanden sind ohne das wir sie direkt wahrnehmen, empfehle ich das Studium des Essays „Über Vibrationen und Resonanzen“ meines Kollegen Thomas Hündgen in diesem Magazin (https://www.hifi-today.de/themen/ueber-vibrationen-und-resonanzen-essay.html).

Wir bleiben aber des Verständnisses wegen mal rein im pneumatischen, also mechanischen Bereich (mit Einfluss auf die elektronischen Instrumente, Mikros, Verstärker, Lautsprecher usw.)

Was bedeutet dies nun für die Menschheit?

Worst Case.

Der Mann am Pult kämpft, Drums und Bass sind nicht in den Griff zu kriegen, von Groove ganz zu schweigen, der Klang ist träge und matschig, Dynamik ist, wenn, nur sprunghaft zu erreichen.

Die Gesamtlautstärke lässt sich ab einem Punkt kaum steigern, man spürt zwar mehr Energie im Raum, aber irgendwie nimmt nur unangenehmer Druck zu. Das Klangbild kippt ständig, je nach Gesamtlautstärke. Der Background-Gesang sackt entweder im Hintergrund ab oder springt einem ins Gesicht. Der Sänger ist kaum zu verstehen, mehr Lautstärke beim Gesang ergibt sofort ein Feedback. Der Mann am Pult kriegt ne Dröhnbirne und möchte nach Hause …

Das Publikum ahnt ja, dass die da auf der Bühne ganz gut abliefern, aber so richtig will kein Spaß aufkommen. Es ist irgendwie laut, aber nicht gut. Mulmig. Kein Rhythmus. Die Eiweiss-Computer zwischen den Ohren sind hauptsächlich damit beschäftigt, aus diesem ganzen Käfig an schreienden Tönen den Schrott raus zu rechnen, um mit dem Rest an spärlichen Daten ein Klangerlebnis im Kopf zu generieren. Es ist anstrengend. Der Saal lehrt sich…

Livekonzert (c)Pexels
Erfolgreiches Livekonzert u.a. durch vorheriges Ausklingeln | Bild: Pexels

Best Case.

Wie siehts nun aus, wenn beim Soundcheck alles gut gelaufen ist? Dem Mischpult beigebracht wurde, wo es ganz besonders sensibel mit dem Raum umgehen muss, dass das Schlagfell der Bassdrum ne Freundin in der Raumresonanz 118 Hz gefunden hat -die sind jetzt zusammen!-, die Phase an der Bass Gitarre gedreht werden sollte, weil sonst irgendwas in den Toms und an der Wandverkleidung mitschwingt, die Snare auf gar keinen Fall über die Publikumslautsprecher laufen sollte, weil der ganze Saal anscheinend von einem Geheimbund vor langer Zeit gezielt zur akustischen Verstärkung eben jener Snare-Trommel entworfen wurde, die unser Schlagzeuger jüngst erworben hat- usw.. Wie wäre es, wenn das alles vorbildlich ausbaldowert wäre?

Trockener, singender Bass in wunderbarer Zusammenarbeit mit der knochentrockenen Bassdrum, ja, jetzt spürt man sie sogar im Bauch, überhaupt, der tiefe Bassbereich ist nun erst richtig wahrnehmbar, Punch, der Gesang klar und artikuliert, der Background-Chor als Teppich zwischen Snare und Lead-Gesang leicht positionierbar. Der Rhythmus reißt mit, Klangfarben verdienen den Namen und sind leicht zu setzen, die Drums machen richtig an. Die E-Gitarren machen deutlich: dies ist ein Rock-Konzert. Das ganze Schallbild ist impulsiv, quirlig und lebendig.

Die Arbeit am Mischpult bringt Spaß, dreiviertel des Saales tanzt beim zweiten Song. Im Kopf hat die Dröhnrausrechen-Abteilung Urlaub, das macht Kapazitäten für die Generierung der Musik im Kopf frei, dabei fällt Spass ab, es fällt uns nun viel leichter als in unserem ersten Szenario, macht an, das Tanzbein zuckt, kurz, es geht ab wie Schmitz Katze.

Und? Was hat das jetzt mit Ihnen zu tun?

Schauen wir jetzt mal bei ihnen zu Hause vorbei. In ihr Musikzimmer. Dort finden wir exakt die gleichen Verhältnisse vor.

Sie meinen, ich übertreibe, das wäre doch etwas Anderes? Große Lautstärken und so? Pfeifende Feedbacks? Lassen Sie sich nicht täuschen, es ist ja gerade ein wesentliches Merkmal von Resonanzen, das sie sich eben bei geringen Energien bilden.

Ihr Raum zu Hause und ihre Anlage sind da nicht besser oder anders als der Konzertsaal. Die kritischen Frequenzbereiche werden sich unterscheiden, aber das tun sie immer. Ja, es bilden sich hoffentlich keine hoch laufenden Feedbacks, aber das Prinzip bleibt das Gleiche.

Lautsprechermembranen verhalten sich physikalisch wie Mikrofone -hier haben wir übrigens ein Beispiel für einen besonders deutlichen Übergang vom mechanischen- Luftdruckschwankungen zum elektronischen System-, der induzierte Strom im Lautsprecher wirkt in die Verstärkerelektronik zurück, wird wieder abgestrahlt usw.

Derartige resonanzbedingte Hochzeiten zwischen Raum- und Anlagenresonanzen werden aber eben auch über Gehäuse, Bauteile-Allianzen, Tonabnehmer-Reaktionen durch Schalldruck, Eigenresonanzen von Hohlkörper, Bauteilen und Kabeln usw. freudig vermittelt. Ihr Tonabnehmer im Plattenspieler ähnelt dem Gitarrentonabnehmer, Kabel verhalten sich teilweise wie Gitarrensaiten, ihre Gerätegehäuse schwingen wie Trommelfelle …

Das Schallfeld in ihrem Hörraum unterliegt genau den gleichen Gesetzmäßigkeiten und wird – punktuell – in vielen Bereichen durch stehende Wellen, Reflexionen und Resonanzen beeinträchtigt.

Auch hier „friert“ dadurch ein gewisser Teil der durch die Anlage abgegebenen Energie ein und steht nicht für die Musikübertragung zur Verfügung. Zusätzlich werden Transienten und das Ausschwingverhalten von Impulsen negativ beeinflusst, Impulse werden „verschmiert“.

Transparenz, Detailfülle und Dynamik sind wichtige Parameter in der Musikwiedergabe und füttern das emotionale Empfinden beim Musikhören. Leider spielen fast alle Komponenten in der Praxis diesbezüglich unter ihren Möglichkeiten, da sie zahlreichen Störungen ausgesetzt sind. Eine besondere Einflussgröße sind mechanische Schwingungen, die sich zwischen Raum und Anlage verkoppeln.

Vor diesem Hintergrund verfestigt sich die Vorstellung, dass alle Hifi-Komponenten ihr Potenzial nicht ausreizen, da sie in der Praxis zahlreichen negativen Einflüssen ausgesetzt sind. Aus diesem Wissen heraus erklären sich auch die teils drastischen Klangverbesserungen von Tuningmaßnahmen, sei es im mechanischen, elektrischem oder elektromagnetischem Bereich: Anlagenteile werden nicht „besser“ gemacht, es ist vielmehr so, dass Anlagenteile „befreit“ werden und endlich so spielen („funktionieren“) dürfen, wie der zumeist geniale Entwickler es einst ersonnen hat …

Ich persönlich finde hier eine bunte und interessante Spielwiese, deren Ergebnisse zu mehr Musikalität, Emotion und Freude an der Musik führen …

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